Austin und der Real Music Club liegen in Texas
Die 60er Jahre des vergangenen Jahrhunderts waren voll mit innovativen Künstlern und Bands. Eine Handvoll habe ich besonders verehrt, Fan nannte sich das damals wie heute.
Eine dieser Gruppen sang in ihrem ausgeprägten Cockney-Slang vom kleinen „Zinnsoldaten“, schwärmte vom „Faulen Sonntagnachmittag“ und vom Spaziergang durch den „Itchycoo Park“. Der Sound war geprägt vom rauen und kraftvollen Gesang des Sängers, der ruppigen Gitarre und vom besonderen Sound der Orgel. Die Texte der SMALL FACES waren voller Doppeldeutigkeiten, Anspielungen, sexueller Anzüglichkeiten sowie dem typischen englischen Witz.
Steve Marriott, der geniale Sänger und spätere Mitbegründer von HUMPLE PIE, lebt nicht mehr. Auch Ronnie Lane, der Mann am Baß, hat uns vor mehr als 10 Jahren viel zu früh verlassen müssen.
Kenny Jones ersetzte den verstorbenen WHO-Drummer Keith Moon für viele Jahre.
Den Keyboarder Ian McLagan habe ich gestern Abend auf der Bühne des REAL MUSIC CLUB in Lauchhammer erleben können. Ich stand einem „Stück“ Rockgeschichte in Person und einem meiner Jugendidole gegenüber – YEAH – „All Or Nothing“!!
Der eigentliche „Star“ des Abends aber heißt James McMurtry, einer der vielen Großen aus den Vereinigten Staaten, die nie ganz groß werden (oder werden wollen?). Der Gitarrist und Singwriter aus Austin in Texas ist auf seinem ersten Trip durch Deutsche Lande und „verirrte“ sich dabei Dank musikbegeisterter „Real People“ in das Südbrandenburgische Provinzstädtchen Lauchhammer.
Der Typ auf der kleinen Bühne ist nicht die ganz große Sensation, aber ein begnadeter Geschichtenerzähler, der dabei seine Texanischen Musik-Wurzeln nicht verleugnen kann. Im Stile eines John Hiatt singt er über amerikanische Befindlichkeiten („Just Us Kids“) und Schicksale („Too Long In the Wasteland“). Er spart dabei kritische Themen bewußt nicht aus („No More Buffalo“) und wird sogar richtig sarkastisch, wenn es um Unmenschlichkeiten geht “(„Fire Line Road). Selbst das längst verdrängte Indianertrauma („Lights Of Cheyenne“) wird nicht ausgespart. James McMurty ist nicht unbedingt leise. Er vermischt Musikstile von Roots bis Country und läßt es ab und an richtig krachen, so daß das umgebaute Gotteshaus wie beim Gospel ins Beben gerät.
Die Begleitband, The Heartless Bastards, rockt im Hintergrund kräftig mit und auch Gastmusiker Small Face Ian McLagan bekommt mehrmals eine Solo-Chance und ein einziges Mal die Möglichkeit, seinen über 40 Jahre jungen rauchigen Cockney-Slang in den Saal zu donnern. Das hätte ich mir zwei, drei Mal mehr gewünscht.
Als „Support“ eröffnete der Texaner Jon Dee Graham den Abend, ein leidenschaftlicher Rocker mit wahnsinniger Raspel-Stimme, der offensichtlich jederzeit Vollgas gibt. Graham ist in seiner Heimat eine Institution, hat viel erlebt und erzählt in seiner ureigenen Art davon in seinen Songs, auch gleich mal in Spanisch, denn Mexiko ist nicht so weit weg und der Landstrich lebt zweisprachig. Bei mir und vielen anderen hat der unscheinbare Typ von nebenan Eindruck hinterlassen und ich behaupte, der war, ebenso wie James McMurtry, nicht zum letzten Mal hier. Dann hoffentlich wieder in Lauchhammer mit der Möglichkeit zum Anfassen und Anquatschen!
Zum abschließenden Höhepunkt kurz vor Mitternacht gab’s eine kleine Jam-Session, Südstaaten-Rock’n’Roll und rotzige Gitarrenriffs zum Abrocken in schweißgetränker Saloon-Luft.
Eine der vielen kleinen Gesten war auch die letzte des Abends, als McMurtry zum Zeichen des Dankes und des Abschieds noch einmal seine Hutkrempe berührte – emotionale Ausbrüche sind nicht Seins, dafür eher Zurückhaltung und Bescheidenheit, dachte ich, und hätte mir gewünscht, daß sein Texanischer „Nachbar“, George W. Bush, davon mehr gehabt hätte. Der Welt wäre vieles erspart geblieben und so manche Träne in Afghanistan, Irak und in Deutschland (!) hätte nicht geweint werden müssen, auch wenn James McMurtry dafür den einen oder anderen Text nicht hätte schreiben können. Richtiger Rock’n’Roll rührt auch in solchen Wunden, gerade und Gott sei Dank auch in „God’s Own Land“!
Die Stars des Abends standen nach dem Konzert am Tresen zum Trinken und wer wollte, auch zum Signieren von Souvenirs und Covers. Wer mich kennt, weiß, daß ich auch dabei war. DANK an Ian McLagan, DANKE James McMurtry und Thanx Mr. Graham – hope to meet you all here again soon.